Selbst-Reflektion: Fragen, die sich Führungskräfte stellen sollten, wenn sie von Ihrem Team frustriert sind
Eine Führungskraft zu sein, war schon immer eine Herausforderung. Mit zunehmender Unsicherheit, Komplexität und Multi-Krisenmodus nehmen Stress und Burnout bei Führungskräften immer mehr zu: In einer Gallup-Umfrage vom November 2021 gaben 35 % der Führungskräfte an, sich „sehr oft oder immer“ ausgebrannt zu fühlen, verglichen mit 27 % der Mitarbeiter und 22 % der Führungskräfte.
Unser Appell an Führungskräfte lautet, Selbst-Reflektion zu praktizieren. Das bedeutet innezuhalten und nachzudenken, bevor der Druck der hohen Anforderungen zu persönlichen Ausrastern führt. Wenn Frustration und Abwertung drohen, gilt es Neugierde zu kultivieren und sich die folgenden Fragen zu stellen. Sie dienen als Checkliste, um sicherzustellen, dass man beim Versuch, die Leistung zu fördern, das Einfühlungsvermögen in den Mittelpunkt stellt.
Selbst-Reflektion 1: Habe ich mich zu den erwarteten Arbeitsergebnissen klar geäußert?
Führungskräfte unterschätzen oft die Notwendigkeit zu kommunizieren oder finden nicht die Zeit dafür. Überlegt mal selbst, wie effektiv Ihr Eure Erwartungen in Bezug auf Aufgaben, Leistungen, Unterstützung und Ergebnisse mitgeteilt. Wenn Ihr wisst und sauber kommuniziert, wie der Erfolg eines bestimmten Projekts in Bezug auf Qualität und gewünschte Wirkung aussieht, können andere ihre Zeit, Energie und andere Ressourcen besser einteilen.
Häufige Kommunikation ist hilfreich, um eine klare Vision und eindeutige Botschaften zu vermitteln. Wenn Teammitglieder verstehen, wie ihre Leistung zu den Geschäftsergebnissen beiträgt, kann dies das Zielbewusstsein der Mitarbeiter:innen stärken. Es kann auch wertvolle Zeit sparen, indem es Verwirrung in der Folgezeit verhindert. Und Sie sollten sich immer wieder bei Ihrem Mitarbeiter melden, um zu prüfen, ob er Ihre Botschaft verstanden hat.
Selbst-Reflektion 2: Sind meine Erwartungen angemessen?
Betrachtet den aktuellen Auftrag und vergleicht ihn mit ähnlichen Aufgaben, die Ihr in der Vergangenheit delegiert habt. Ist das aktuelle Projekt mit angemessenen Ressourcen ausgestattet? Wenn nicht, müsst Ihr möglicherweise zusätzliche Ressourcen finden oder Eure eigenen Erwartungen zurückschrauben.
Handelt es sich um eine anspruchsvolle Aufgabe, die eine Herausforderung für andere darstellen oder die Entwicklung der Mitarbeitenden fördern soll? Wenn ja, müsset Ihr die Mitarbeitenden möglicherweise stärker unterstützen. Überlegt, ob Ihr für Fragen und alle erforderlichen Genehmigungen zur Verfügung steht. Beurteilt den Zeitplan und ob die Mitarbeitenden angemessen unterstützt wurden, um die Erwartungen zu erfüllen.
Selbst-Reflektion 3: Was weiß ich über diese/n Mitarbeiter:in?
Wenn wir mit der Leistung eines Mitarbeiters unzufrieden sind, sollten wir einen Schritt zurücktreten und die ganze Person in den Blick nehmen. Beurteilen wir alle Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Überlegen wir, wo die Person ihre Stärken hat, wo sie sich weiterentwickeln kann und wie wir dazu beitragen können. Manche Menschen fühlen sich bei größerer Autonomie wohler, während andere mehr Kommunikation, Unterstützung und Kontakt bevorzugen.
Wenn wir im Team einen Leistungsabfall bemerken, steht ein direktes und freundliches Gespräch an, um herauszufinden, woran es liegt. Möglicherweise sind persönliche Ereignisse im Spiel, z. B. ein kränkelndes Familienmitglied, eine Trennung oder zusätzliche Betreuungsaufgaben. Achten wir bei den Gesprächen darauf, dass wir vor allem zuhören. Erkundigen wir uns nach den Erfahrungen des Teammitgliedes mit der anstehenden Arbeit, und prüfen wir, ob es unsere Erwartungen versteht und überhaupt erfüllen kann.
Selbst-Reflektion 4: Führe ich ergebnisorientiert?
Erfolgreiche Manager konzentrieren sich auf die Ergebnisse, nicht darauf, wie wann oder wo die Arbeit erledigt wird. Wir alle haben einzigartige Arbeitsstile und Vorlieben. Mein Weg ist vielleicht nicht der gleich erfolgreiche oder angenehme Weg für andere, also hüten wir uns besser vor der Voreingenommenheit gegenüber unserem eigenen Stil.
Mikromanagement bedeutet, dass wir in die Autonomie unserer Mitarbeiter eingreifen, die ein zentrales psychologisches Bedürfnis ist. Indem wir eine klare Vision für die Ergebnisse vorgeben, geben wir den Mitarbeitenden die Möglichkeit, entweder selbst die Verantwortung und die Führung zu übernehmen oder sich mehr Anleitung und Unterstützung bei uns (oder anderen) zu holen. Stellen wir sicher, dass wir die angestrebten Teil-Aufgaben und -Ergebnisse mit der größeren Vision und den Zielen des Unternehmens sinnvoll und deutlich verknüpfen. Die Menschen wollen das Gefühl haben, dass sie eine sinnvolle Arbeit verrichten, und die Abstimmung des Zwecks zwischen dem Einzelnen und dem Unternehmen kann das Engagement steigern.
Selbst-Reflektion 5: Lege ich an alle die gleichen Maßstäbe an?
Trotz unserer besten Absichten können unbewusste Vorurteile dazu führen, dass wir einige Personen gegenüber anderen bevorzugen. Machen wir uns die Einzigartigkeit des betreffenden Teammitgliedes bewusst und überlegen wir, ob wir alle Teammitglieder nach den gleichen Maßstäben beurteilen. Sind wir bei Männern, Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund ggf. unterschiedlich „streng“? Investieren wir gleichermaßen Zeit in die Entwicklung des Teams? Treffen wir Annahmen aufgrund des Alters (Disziplin, Erfahrung, Verlässlichkeit…)? Es gilt auch unbewusste Vorurteile in den Blick zu nehmen und zu vermeiden.
Eine weitere Voreingenommenheit, derer man sich bewusst sein sollte, ist der Proximity Bias, der beschreibt, wie Führungskräfte dazu neigen können, diejenigen zu bevorzugen, die ihnen physisch näher sind. Wenn wir in einer Remote Work-unterstützenden Umgebung arbeiten, bevorzugen wir dann bei der Zuteilung von Aufgaben diejenigen, die öfter ins Büro kommen? Beachten wir, dass Frauen und pflegende Angehörige unverhältnismäßig stark von dieser Tendenz betroffen sind.
Selbst-Reflektion 6: Gebe ich umsetzbares Feedback, das klar, entschieden und freundlich ist?
Wenn wir Bedenken oder Kritik an der Arbeit haben, sollten wir ein diesbezügliches Feedback nicht hinauszögern. Untersuchungen zeigen, dass Feedback am besten direkt in der Situation gegeben wird. Wir sollten intervenieren, sobald sich eine mögliche Fehlentwicklung abzeichnet. Es ist viel besser, sie frühzeitig zu erkennen und Probleme nicht auf sich beruhen zu lassen.
Bitten wir die Mitarbeiter:innen auch um Feedback zu seinen Erfahrungen mit einem Auftrag? Abstimmung und offene Gespräche schaffen Vertrauen und Engagement bei den Mitarbeitenden. Mitarbeiter:innen, die sich von ihrem Chef unterstützt fühlen, sind mit ihrer Arbeit am zufriedensten, und Unternehmen mit einer vertrauensvollen Arbeitsplatzkultur schneiden in den gängigen Mitarbeiterzufrienheitsumfragen fast doppelt so gut ab wie solche ohne. Außerdem könnten wir ja Informationen erhalten, die unsere Sichtweise auf eine Aufgabe, einen Auftrag oder einen Projektverlauf verändern und eine Neubewertung erforderlich machen.
Selbstreflexion erfordert Disziplin und Zeit – und die Investition lohnt sich. Unternehmen mit Managern, die gute Beziehungen zu ihren Mitarbeitern pflegen, erfahren eine höhere Loyalität, Vertrauen, Produktivität und Freude. Nutzen Sie diese Reflexionsfragen als Leitfaden, um etwaige Lücken in Ihren Erwartungen zu schließen. Die bewusste Entscheidung, Leistung durch Einfühlungsvermögen zu fördern, ist der Unterschied zwischen dem wahren Wettbewerbsvorteil – diskretionärem Einsatz – und dem Stempeln der Uhr. Durch diese Maßnahmen unterscheiden sich Manager von Führungskräften.