Führungskräfteentwicklung – Versuch einer Dekonstruktion
Verlassen Mitarbeitende tatsächlich ihre Chefs?
Ein Zitat von Marcus Buckingham hat in der modernen Arbeitswelt besondere Bekanntheit erlangt: „Mitarbeitende verlassen keine Unternehmen, sondern Chefs.“ Dieses Zitat hat in vielen Diskussionen und Debatten über Mitarbeiterbindung und -zufriedenheit eine zentrale Rolle gespielt. Aber wie viel Wahrheit steckt wirklich dahinter? Zunächst ist es wichtig zu erkennen, dass dieses Zitat eine starke Botschaft vermittelt: Die Beziehung zwischen einem Mitarbeiter und seinem Vorgesetzten kann entscheidend für die Entscheidung des Mitarbeiters sein, bei einem Unternehmen zu bleiben oder es zu verlassen. In vielen Fällen kann ein gutes Arbeitsverhältnis mit dem Vorgesetzten dazu beitragen, dass ein Mitarbeiter trotz anderer Herausforderungen im Unternehmen bleibt. Umgekehrt kann ein schlechtes Verhältnis zu einem Vorgesetzten der Hauptgrund sein, warum talentierte Mitarbeitende das Unternehmen verlassen.
Allerdings wäre es zu einfach, die gesamte Verantwortung für die Mitarbeiterbindung auf die Schultern der Führungskräfte zu legen. Es gibt viele Faktoren, die die Zufriedenheit und Bindung von Mitarbeitenden beeinflussen können, von den Arbeitsbedingungen über die Unternehmenskultur bis hin zu persönlichen Umständen. Daher ist es wichtig, das Zitat von Buckingham in einem breiteren Kontext zu sehen.
Es ist auch erwähnenswert, dass es Unterschiede in der Art und Weise gibt, wie verschiedene Chefs führen. Einige Führungskräfte haben einen natürlichen Führungsstil, der von ihren Mitarbeitern geschätzt wird, während andere Schwierigkeiten haben können, eine positive Beziehung zu ihren Teams aufzubauen. Dies unterstreicht die Bedeutung der Führungskräfteentwicklung, um sicherzustellen, dass Führungskräfte die notwendigen Fähigkeiten und Werkzeuge haben, um effektiv zu führen und positive Beziehungen zu ihren Mitarbeitern aufzubauen.
Das Zitat von Marcus Buckingham sicherlich einen Kern von Wahrheit enthält. Die Beziehung zu einem Chef kann einen erheblichen Einfluss auf die Entscheidung eines Mitarbeiters haben, bei einem Unternehmen zu bleiben oder es zu verlassen. Dennoch ist es wichtig, dieses Zitat im Kontext der vielen anderen Faktoren zu sehen, die die Mitarbeiterbindung beeinflussen können. Es ist eine Erinnerung daran, wie wichtig es ist, in die Entwicklung von Führungskräften zu investieren und sicherzustellen, dass sie die Unterstützung und Schulung erhalten, die sie benötigen, um erfolgreich zu sein.
Wie sich der Blick von Menschen auf die Arbeitswelt verändert hat
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Arbeitswelt rasant verändert. Diese Veränderungen haben nicht nur die Art und Weise beeinflusst, wie Unternehmen geführt werden, sondern auch die Erwartungen und Ansprüche der Mitarbeitenden an ihre Arbeitgeber. Es herrscht die weit verbreitete Ansicht, dass vor allem jüngere Generationen, wie die Millennials oder die Generation Z, höhere Erwartungen an ihre Arbeitgeber haben. Sie würden – so sagt man – nach sinnstiftender Arbeit suchen, nach Flexibilität, Work-Life-Balance, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Nachhaltigkeit und einer positiven Unternehmenskultur. Ja, danach suchen Menschen, aber eben aus allen „Generationen“. Menschen aller Altersgruppen haben in den letzten Jahren vermehrt begonnen, ihre Prioritäten neu zu bewerten und von ihren Arbeitgebern mehr zu verlangen.
Ein entscheidender Faktor, der den Blick auf die Arbeitswelt beeinflusst hat, ist die Rolle der Führungskräfte. Immer weniger Menschen tolerieren Führungskräfte, die stumpf ihre Macht einsetzen, unfair sind, politische Spielchen treiben, keine Wertschätzung ausdrücken, launisch sind oder schlicht unfreundlich. Führungskräfte sind schon lange nicht mehr (und dank künstlicher Intelligenz in Zukunft immer weniger) nur Manager von Prozessen und Ressourcen. Sie sind Kulturgestalter und definieren über ihr Handeln maßgeblich die Zusammenarbeit und das Klima im Unternehmen. Eine positive, inklusive und unterstützende Kultur kann Mitarbeitende motivieren und binden, während eine negative Kultur das genaue Gegenteil bewirken kann.
Die Digitalisierung und Globalisierung haben ebenfalls ihren Beitrag geleistet. Die Möglichkeit, von überall aus zu arbeiten, hat die Erwartungen an Flexibilität und Autonomie erhöht. Gleichzeitig hat die Vernetzung der Welt zu einem verstärkten Austausch von Ideen und Kulturen geführt, was wiederum die Erwartungen an Diversität und Inklusion in Unternehmen erhöht hat. Last but not least haben Entwicklungen wie agiles Arbeiten, die Nutzung von Selbstorganisation und Verteilung von Verantwortung dazu geführt, dass immer mehr Menschen schlicht wissen, dass es auch anders geht. Das Narrativ einer menschlichen Arbeitsumgebung ist da und wird so schnell nicht wieder verschwinden. Diese Veränderungen sind natürlich nicht nur Herausforderungen, sondern auch Chancen. Unternehmen, die sich anpassen und auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden eingehen, können von erhöhter Mitarbeiterzufriedenheit, geringerer Fluktuation und höherer Produktivität profitieren.
Der Wandel in der Arbeitswelt ist tiefgreifend und vielschichtig. Es geht nicht nur um Generationen oder Technologie, sondern um eine grundlegende Verschiebung in den Erwartungen und Werten der Menschen. Unternehmen und Führungskräfte, die dies erkennen und darauf reagieren, werden in der Lage sein, in dieser neuen Ära erfolgreich zu sein. Das bedeutet aber echtes Lernen und da kommt die Führungskräfteentwicklung ins Spiel.
Willkommen im People Business
Die Rolle einer Führungskraft hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Während in der Vergangenheit der Schwerpunkt oft auf technischen oder administrativen Aufgaben lag, hat sich das Blatt gewendet. Heute, wenn jemand zur Führungskraft ernannt wird, tritt er in das „People Business“ ein. Und das ist ein Bereich, der in traditionellen Bildungssystemen und Ausbildungsprogrammen kaum behandelt wird.
Das „People Business“ (wie wir es gerne nennen) bezieht sich auf die Kunst, Menschen zu führen, Zusammenarbeit zu organisieren und Wertschöpfungs-Strukturen zu entwickeln. Es geht darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem Mitarbeitende ihr volles Potenzial entfalten können, und darum, Teams so zu formen und zu führen, dass sie gemeinsam Höchstleistungen erbringen. Es geht nicht nur darum, Ziele zu setzen und Prozesse zu überwachen, sondern darum, Beziehungen aufzubauen, Vertrauen zu schaffen und Menschen zu inspirieren. Die Schwierigkeit dabei ist, dass viele der Fähigkeiten und Kenntnisse, die im „People Business“ erforderlich sind, nicht rein faktenbasiert gelernt werden können. Diese Themen brauchen Lernen, dann Ausprobieren, Üben, Reflektieren. Es muss echte Könnerschaft aufgebaut werden. Sie erfordern eher emotionale Intelligenz, Empathie und andere soziale Fähigkeiten als rein kognitive, akademische Skills. Sie erfordern auch eine tiefe Selbstkenntnis, doch dazu später mehr. Ein weiteres Paradoxon des „People Business“ ist, dass, obwohl es dabei um Menschen geht, viele Führungskräfte sich unvorbereitet oder überfordert fühlen, wenn es darum geht, menschliche Dynamiken zu navigieren. Konflikte, Kommunikationsherausforderungen und unterschiedliche Motivationsfaktoren führen zu komplexen und manchmal verwirrenden Situationen. Wer versteht schon Menschen?
Hier setzt die Führungskräfteentwicklung an. Führungskräfte werden in ihrer Entwicklung unterstützt, wenn sie in das „People Business“ eintreten, in sogenannten „Talente-Programmen“ auch oft schon davor. Mit Trainings, Mentoring und Coachings werden sie dabei unterstützt, die notwendigen Fähigkeiten zu entwickeln und sich immer wieder neu der Herausforderungen bewusst zu werden, die das Führen von Menschen mit sich bringt.
Wer führt, ist sein eigenes Werkzeug
In der Führungskräfteentwicklung existiert eine fundamentale Wahrheit, die häufig übersehen wird: Führungskräfte agieren nicht nur mit Methoden und Tools, sondern sie sind auch ihr eigenes primäres Werkzeug. Damit wird die Metapher des Werkzeugs natürlich ad absurdum geführt, aber sie hilft gerade deshalb sehr gut, zu illustrieren, warum Führungskräfteentwicklung so eine delikate Angelegenheit ist.
Während viele Aspekte der Führung durch Bücher, Artikel, Videos erlernt werden können, gibt es einen zentralen Aspekt, der nicht aus zweiter Hand erworben werden kann: die Selbstkenntnis. Eine Führungskraft kann nicht effektiv führen, wenn sie sich selbst, ihre Stärken, Schwächen, Motivationen und Ängste nicht tiefgehend versteht. In diesem Sinne ist die Führungskraft ihr eigenes Werkzeug, und die Qualität dieses Werkzeugs – das Selbst – bestimmt maßgeblich den Erfolg in der Führungsrolle. Dieses Werkzeug kann aber auch nur von der Person selbst eingesetzt werden. Obwohl die Führungskraft ihr eigenes und sicher auch wichtigstes Werkzeug ist, passiert es zu oft, dass sie zu wenig Zeit und Ressourcen darauf verwendet, dieses Werkzeug zu pflegen. In der operativen Hektik des Führungs-Alltags fällt es unfassbar schwer, nach innen zu schauen und sich selbst zu reflektieren. Doch diese Selbstreflexion ist von entscheidender Bedeutung und auch sie muss gelernt und geübt werden. Ganzheitliche Führungskräfteentwicklung muss das mit berücksichtigen. Selbst unter professioneller Anleitung reicht die Introspektion aber nicht aus: Feedback von Kollegen und relevanten Stakeholdern kann wertvolle Einblicke bieten und dazu beitragen, das Selbst-Bild zu komplettieren. Nach innen schauen? Um Feedback bitten? Klingt ungemütlich, oder? Es erfordert Mut, Selbst-Ehrlichkeit und die Bereitschaft, sich ständig weiterzuentwickeln. Zum Glück sind das Skills, die man auch für´s Business gut gebrauchen kann.
5 Gründe für Führungskräfteentwicklung
Die Entwicklung von Führungskräften ist trotz der langen Vorrede nicht nur eine Investition in Einzelpersonen, sondern auch eine Investition in das gesamte Unternehmen. Hier sind nun also die fünf zentralen Gründe, warum die Entwicklung von Führungskräften von entscheidender Bedeutung ist:
1. Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit:
Zurück zum Buckingham-Zitat: Talentierte Mitarbeitende verlassen oft nicht das Unternehmen an sich, sondern Führungskräfte, die sie nicht gut führen. Eine gut ausgebildete Führungskraft kann dazu beitragen, Talente anzuziehen und zu halten. Teams, die von kompetenten Führungskräften geleitet werden, sind zudem produktiver und zufriedener.
2. Mehr Kapazität für die Umsetzung von Strategien:
Führungskräfte sind das Bindeglied zur Strategie. Sie sind dafür verantwortlich, Transformationen und Veränderungen umzusetzen. Es gibt spezielle Werkzeuge und Techniken, die Führungskräfte beherrschen sollten, um diese Aufgaben effektiv zu erfüllen. Haben Ihre Führungskräfte eine fundierte Ausbildung im Change Management?
3. Höhere Kundenzufriedenheit:
Führungskräfte, die in ihrer Rolle gut ausgebildet sind, haben einen positiveren Einfluss auf Kunden. Sie können Probleme aus verschiedenen Perspektiven angehen und schaffen es, unnötige Spannungen zwischen Partnern, Mitarbeitenden und Kunden zu vermeiden. Indirekt unterstützen sie natürlich noch mehr. Mitarbeitende, die sich nicht an internen Themen aufreiben, haben Energie, sich um Kunden zu kümmern.
4. Stärkung von Innovation und Geschäftsentwicklung:
Ein Unternehmen benötigt ein Führungsteam, das nicht in operationellen Problemlösungen gefangen ist. Führungskräfte, die sich nicht in Mikromanagement verlieren, haben mehr Kapazitäten, um das Unternehmen insgesamt voranzubringen. Dazu braucht es aber natürlich auch die Impulse von den Mitarbeitenden, die aber nicht kommen, wenn das Klima vergiftet ist, oder keine psychologische Sicherheit gegeben ist.
5. Raum für kontinuierliche organisatorische Entwicklung:
Jedes Unternehmen hat einen Keller voller Gerümpel: Ausgediente Anweisungen und Verhaltensweisen, die nicht mehr gebraucht werden. Prozesse, Regeln, Organisationsprinzipien und sogar Strukturen müssen regelmäßig überprüft, gepflegt und angepasst werden. Andernfalls besteht das Risiko von Reibungsverlusten oder schlichtweg Ressourcenverschwendung. Gut ausgebildete Führungskräfte sind in der Lage, diese Anpassungen effektiv vorzunehmen.
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Zum Foto dieses Beitrags: Mit unseren Kunden entwickeln wir die Architektur eines Programms zur Führungskräfteentwicklung fast immer gemeinsam.
Wir nennen die dazu gehörenden, initialen Meetings gerne Concept-Workshop oder Design-Workshop. Unser Büro in Heidelberg hat schon viele kreative Funkenflüge in diesem Kontext erlebt.