Es gibt eine astronomisch große Zahl möglicher Zustände, die komplexe Systeme prinzipiell annehmen können, die ihre Steuerung uns vor ein Problem stellt. Wie löst die Natur dieses Problem?
Wer oder was steuert, regelt und kontrolliert komplexe Systeme? So banal es einerseits ist, so bemerkenswert ist es in anderer Hinsicht: Natürliche Systeme haben keine Regler, sie regeln sich selbst; sie haben keine Organisatoren, sie organisieren sich selbst. Zwei der wichtigsten kybernetischen Prinzipien der Natur sind Selbstregulierung und Selbstorganisation. Es sind universelle Architektur- und Funktionsgesetzmässigkeiten der Natur.
Bei den Systemen der Natur sind Selbstregulierung und Selbstorganisation Fähigkeiten, die in ihrer Struktur eingebaut sind. Es gibt keine anderen natürlichen Systeme.
In den von Menschen geschaffenen Systemen, seien es technische oder soziale Systeme oder Mischformen, kommen Selbstregulierung und Selbstorganisation auf ein von vielen geteiltes Zielbild selten von allein vor – es muss gezielt „hineinorganisiert“ werden.
Die Grundstrategie kybernetischen Vorgehens lautet somit: Organisiere das Unternehmen (oder das System, Team etc.) so, dass es sich so weit wie möglich selbst organisieren und selbst regulieren kann – ausgerichtet auf das Große Ganze. Der Gedanke führt unmittelbar zum zentralen Naturgesetz, das in der Kybernetik entdeckt wurde, das Gesetz der erforderlichen Varietät. Es lautet: Only Variety can absorb Variety.
Wie ist das zu verstehen? Das Ausmaß, in dem es möglich ist, ein System zielgerichtet zu beeinflussen, hängt ab von dessen eigener Komplexität, die man zur Verfügung hat. Deshalb die wichtige Unterscheidung von „einfach“ und „komplex“. Einfache Systeme kann man mit einfachen Mitteln unter Kontrolle bringen. Komplexe Systeme benötigen komplexe Mittel.
Um ein komplexes System auf ein Ziel auszurichten, benötigt man so viel Varietät, wie das System selbst hat. Man kann z.B. mit einem Wortschatz von dreitausend Wörtern nicht Shakespeare ins Deutsche übersetzen. Wer nicht ein ansehnlich großes Verhaltensrepertoire hat, kann kaum ein komplexes System führen. Eine Fußballmannschaft muss mindestens ebenso variantenreich spielen wie die gegnerische, um eine Chance auf einen Sieg zu haben.
Learn to cope with complexity
Es ist nicht der Fall, dass man alles so organisieren muss, dass es sich selbst organisiert. Richtig verstandene Kybernetik ist bescheidener. Sie versucht, ihre Prinzipien dort anzuwenden, wo das möglich ist. Wenn es nicht möglich ist, muss man selbstverständlich zu anderen Steuerungsformen greifen – oder man kann das betreffende System eben nicht auf ein Ziel ausrichten.
Der weit verbreitete Slogan „Keep it simple“ hat daher seine klare – allerdings eng begrenzte – Berechtigung. Wenn es gelingt, die Umstände einfach zu halten, können die Steuerungsmechanismen auch einfach sein. Andererseits haben – das ist, wie schon erwähnt, die Kehrseite – einfache Systeme niemals höhere Fähigkeiten. Wenn das Umfeld komplex ist, wenn Kunden immer anspruchsvoller und Wettbewerber immer besser werden, dann muss auch das Unternehmen in der Lage sein, ausreichende Komplexität zu entwickeln, um richtig reagieren zu können. „Keep it simple“, ist somit nur die halbe Wahrheit, aber sie ist sehr richtig, wenn es um die eigenen Strukturen, Prozesse etc. geht. Sonst erzeugen wir durch Kompliziertheit noch mehr Komplexität. „Learn to cope with complexity“, ist die andere Hälfte der Wahrheit. Je besser wir mit Komplexität umgehen können, umso besser kann man sich in einer immer komplexer werdenden Welt behaupten.
(in Anlehnung an: Malik – Control of High Variety Systems)