Irrtümer der Zusammenarbeit (Teil 1)

Steffen Kubitzky

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Praktisch alles, was wir bei der Arbeit tun, basiert auf Zusammenarbeit. Vor der Pandemie verbrachten viele Menschen 85 % oder mehr ihrer Zeit pro Woche mit kollaborativer Arbeit. Diese Zahl ist während der Pandemie weiter gestiegen und ein Ende ist nicht in Sicht, da wir uns auf verschiedene Formen der Hybridarbeit zubewegen.

Schon in den klassischen hierarchischen Arbeitskontexten jagte ein Meeting das nächste. Und die Mitarbeitenden und Führungskräfte fragten sich, wie sie ihre sonstigen Aufgaben schaffen sollten. In der neuen Arbeitswelt, in der Partizipation und Kollaboration großgeschrieben werden, sind die Kooperationsansprüche eher noch größer.

Das Dilemma besteht jedoch darin, dass diese Entwicklung und deren Begleiterscheinungen zu viel von der falschen Art der Zusammenarbeit hervorgebracht haben, was unserer Leistung, Gesundheit und unserem allgemeinen Wohlbefinden schadet. Ein Meeting jagt das nächste und virtuell ist man mittlerweile in einer Dichte getaktet, die kaum Zeit für einen Toilettengang lässt.

In ihrer Not greifen viele Arbeitende zu den klassischen Ratgebern – davon gibt es ja inzwischen eine wahre Flut: Zeitmanagement für Dummies, Selbstmanagement „in a nutshell“, 10 Tipps für bessere Meetings….

Und da steht es dann ja auch Schwarz auf Weiß: wir müssen nur Struktur in unsere Arbeit bringen, um unproduktive Zusammenarbeit zu verhindern oder unsere Verhaltensweisen ändern, um die Zusammenarbeit effizienter zu gestalten.

Diese 08/15-Ratgeber haben jedoch alle zwei Defizite gemeinsam:

  1. Sie kratzen nur an der Oberfläche d.h. sie konzentrieren sich auf die Symptombekämpfung und blenden die (persönlichen) Ursachen aus
  2. Sie setzen fast ausschließlich bei der einzelnen Person an. Es ist der Einzelne, der sich klüger organisieren muss, um seine Aufgaben erledigt zu bekommen. Die herkömmlichen Ratgeber schaffen insofern die Illusion „persönlicher Wirkmächtigkeit“.

 

Es gibt da zwei weitere Aspekte, deren Bearbeitung ich für deutlich relevanter und sinnvoller erachte, als das Studium diverser Ratgeber: die Identifizierung und Infragestellung von persönlichen und organisationalen Glaubenssätzen, die uns dazu verleiten, zu schnell und zu viel zusammenzuarbeiten.

In diesem ersten Teil unserer Miniserie zu „Irrtümern der Zusammenarbeit“ starten wir mit den persönlichen Überzeugungen über uns selbst und unsere Rollen. Wenn ich von „Überzeugungen“ spreche, meine ich damit tief verwurzelte und oft nicht hinterfragte Wünsche, Bedürfnisse, Erwartungen und Ängste.

Ein erster Schritt zur Verringerung der Überlastung bei der Zusammenarbeit besteht darin, sich dieser inneren Auslöser bewusst zu werden. Denkt einmal über die folgenden Aussagen nach und überlegt, vor welchen Glaubenssätzen Ihr Euch ggf. schützen müsst.

 

Mein Wunsch, anderen zu helfen, macht mich zu leicht zu einem Ventil für Kooperationsanfragen.

Helfen ist der Inbegriff des konstruktiven Handelns, es gibt uns ein Gefühl der Sinnhaftigkeit, erfüllt ein tiefes Bedürfnis, nützlich zu sein, und stärkt unsere Identität. Wenn wir uns jedoch zu schnell oder zu oft einmischen oder auf eine Art und Weise, die die Probleme anderer löst, ohne die Lösungsfindung-Fähigkeiten der anderen aufzubauen, werden wir unweigerlich zum Weg des geringsten Widerstands für zu viele Hilfs- und Unterstützungs-Anfragen.

 

Mein Gefühl der Erfüllung durch Leistung führt dazu, dass ich mich auf kollaborative Arbeit einlasse, die zu einer Überlastung führt.

Das Gefühl der Befriedigung, das sich einstellt, wenn man etwas erreicht hat, kann süchtig machen (Dopamin-Ausschüttung) und uns davon abhalten, unsere Energie dort einzusetzen, wo sie am meisten gebraucht wird: bei der Arbeit, bei der wir den größten Wert für die Organisation schaffen.

 

Mein Wunsch, einflussreich zu sein oder für mein Fachwissen anerkannt zu werden, führt dazu, dass ich mich zu sehr auf mich selbst verlasse.

Der Wunsch, andere zu beeindrucken und anerkannt zu werden, kann dazu führen, dass wir übermäßig viele Gelegenheiten für Zusammenarbeit auf uns ziehen. Fachwissen und Bestätigungswunsch kann zu einer Falle werden. Wenn wir uns auf unsere eigene Expertise konzentrieren, können wir verhindern, dass diese sich bei anderen Menschen entwickelt.

 

Meine Sorge, als schlechte Leistungsträgerin abgestempelt zu werden, führt dazu, dass ich mich auf Kooperationen einlasse, die zu einer Überlastung führen.

Die Sorge, einen negativen Stempel aufgedrückt zu bekommen, macht es fast unmöglich, „Nein“ zu einer Bitte zu sagen, nicht nur von Vorgesetzten, sondern auch von Kollegen – wir befürchten vielleicht, dass sich ein „Nein“ später auf negative Weise auf uns auswirken könnte.

 

Mein Bedürfnis, Recht zu haben, führt dazu, dass ich zu viel Zeit mit der Vorbereitung von und der Teilnahme an gemeinsamen Aktivitäten verbringe.

Was auch immer die Ursache für das Bedürfnis ist, Recht zu haben – eine Bedrohung der eigenen Identität als kompetenter Teamkollege und Angst sind häufige Faktoren – es führt zu unproduktiven Aktivitäten, die Menschen dazu bringen, sich stundenlang auf Besprechungen vorzubereiten, perfekte E-Mails zu schreiben und für alle überflüssige Arbeit zu verursachen.

 

Die Angst, die Kontrolle über ein Projekt zu verlieren – oder der Glaube, dass ich die fähigste Person bin, um die Arbeit gut zu erledigen – hält mich davon ab, Aufgaben zu delegieren oder Menschen um mich herum einzubinden.

Die Erfüllung unseres Kontrollbedürfnisses kann dazu führen, dass wir überfordert sind. Wenn wir die Arbeit nicht aus der Hand geben und nur an Personen delegieren, denen wir vertrauen, haben die Teammitglieder das Gefühl, dass ihre Autonomie beschnitten wurde, was zu Leistungseinbußen führt.

 

Mein Bedürfnis nach einem Abschluss führt zu einer Kommunikation, die für andere unnötige Arbeit und Stress bedeutet und künftige Interaktionen auf mich zurückführt.

Eine Überbetonung der Vollständigkeit „um der Vollständigkeit“ willen erzeugt unnötigen Stress für Teammitglieder und kann dazu führen, dass sie unklaren Zielen nachjagen, die nicht mit der Gesamtarbeit des Teams übereinstimmen. Dies geschieht in kurzen Momenten, wenn Führungskräfte z. B. spät in der Nacht unüberlegte E-Mails verschicken, um Dinge von Ihrer To-do-Liste zu streichen, aber schlecht durchdachte Anweisungen geben, die eine Hektik um Sie herum auslösen.

 

Mein Unbehagen an Mehrdeutigkeit und an der Bewältigung von Anpassungen im Laufe eines Projekts führt dazu, dass ich übermäßig viel zusammenarbeite, um einen Plan zu perfektionieren oder die Zustimmung zu ihm zu erhalten.

Ambiguitätsscheue Menschen haben nie genug Informationen, einen 100% klaren Prozess oder einen perfekten Plan – und so suchen sie immer nach mehr Daten, gründlicheren Prozessen und einer besseren Strategie. Ihre Forderungen nach diesen Dingen verschlingen Stunden der Zeit anderer.

 

FOMO treibt mich zu kollaborativer Arbeit an, die zu Überlastung führt.

Die Angst etwas zu verpassen (Fear of missing out – kurz „FOMO“) führt allzu oft zu unproduktiven Entscheidungen, sich in neue Kooperationsprojekte zu stürzen. Es kann sein, dass wir in Projekten landen, die uns überfordern und die nicht mit dem übereinstimmen, was wir wirklich sein wollen oder was wir wirklich von unserer Karriere erwarten.

Diese Liste ließe sich sicherlich noch erweitern, ich werde es aber dabei belassen. Wichtig ist, dass wir uns unserer eigenen internen Glaubenssätze bewusst werden, die uns in die Zusammenarbeit mit anderen treiben, obwohl wir die Zeit besser für uns, andere Themen oder Projekte ohne Kollaborations-Anspruch verwenden könnten.

Im zweiten Teil der Miniserie konzentrieren wir uns auf ein weiteres Phänomen, das die Ratgeber weitestgehend ausklammern: den Kontext, in dem der Einzelne agiert, die Logiken der Organisation. Diese Logiken jedoch spielen bei der Entstehung von Zeitproblemen – und deren Lösung – eine entscheidende Rolle.

Steffen