Unterwegs auf dem falschen Gleis

Viele der aktuellen Diskussionen in den Themenbereichen New Work, New Leadership, Agilität, Arbeitgeberattraktivität… eint die Erkenntnis, dass sich Führung und die Art wie wir Organisationen und Zusammenarbeit denken, verändern muss (und dies in einigen Unternehmen auch bereits tut).

Ich bin persönlich kein Freund davon, Führungskräfte für „falsches Führungsverhalten“ zu blamen, ist es doch oft die Organisation, das soziale System, an dem sie und ihre Mitarbeitenden teilnehmen, das das Verhalten aller Beteiligten mit seinen kommunikativen und kulturellen Regeln, in eine bestimmte Richtung prägt und sich in dysfunktionalen Strukturen und Rollen niederschlägt.

Dennoch sind wir alle keine Opfer dieser äußeren Umstände, sondern haben jeden Tag die Wahl uns anders zu verhalten und gemeinsam mit der nötigen formalen Macht, die Management-Praktiken abzuschaffen und Strukturen zu verändern, die ungewünschtes Verhalten belohnen bzw. verstärken.

Was führt also trotz dieser zunehmenden Erkenntnis um „moderne“ Organisationsdesigns und „adäquates“ Führungsverhalten in den Führungsetagen dazu, dass Führungskräfte auf dem Weg zum Ziel(bahnhof) „entgleisen“? Das ist kein Resultat von mangelndem Willen oder fehlender Intelligenz (zumindest kognitiver) – sondern liegt eher daran, dass sich viele Führungspersönlichkeiten immer wieder selbst sabotieren.

Basierend auf den Forschungen des amerikanischen Psychologen Robert Hogan hat man festgestellt, dass die meisten Führungskräfte für elf Entgleisungstendenzen (engl. Derailer) anfällig sind – tief verwurzelte Persönlichkeitsmerkmale, die ihren Führungsstil und ihr Handeln beeinflussen:

  • Arroganz: ich habe Recht und alle anderen haben Unrecht.
  • Melodrama: ich will immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.
  • Unbeständigkeit: meine Stimmungsschwankungen führen zu geschäftlichen Richtungswechseln (heute hüh – morgen hott).
  • Übertriebene Vorsicht: Entscheidungen müssen frei von Risiko sein (also besser nicht entscheiden bevor ich “falsch” entscheide).
  • Gewohnheitsmäßiges Misstrauen: ich konzentriere mich primär auf das Negative.
  • Unnahbarkeit: ich ziehe mich zurück und separiere mich von anderen.
  • Schalkhaftigkeit: Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden.
  • Exzentrizität: es macht mir Spaß, anders zu sein, nur um der Sache willen.
  • Passiver Widerstand: mein Schweigen wird als Zustimmung fehlinterpretiert.
  • Perfektionismus: mach die kleinen Dinge richtig, auch wenn die großen Dinge schief gehen.
  • Eifriges Bemühen, es allen recht zu machen: den Beliebtheitswettbewerb zu gewinnen ist am wichtigsten.

 

Diese Derailer treten am häufigsten unter Stress auf: als Führungsverantwortliche/r im Rampenlicht zu stehen, mit großem Druck und hoher Verantwortung umzugehen, in einer Zeit unglaublicher Geschwindigkeit und Komplexität zu führen – all das kann sie aktivieren. Außerdem ist es schwierig, die Derailer zu erkennen, weil wir oft mehrere haben, die sich gegenseitig beeinflussen, und manche sind sowohl Stärken als auch Schwächen. Erst wenn wir eine dieser Stärken übertreiben, wird sie zur Schwäche und „fällt uns auf die Füße“.

Wenn man sich dieser Persönlichkeitsmerkmale – der Veranlagung zum „Entgleisen“ – nicht bewusst ist, ihre Existenz verleugnet oder ihre Schattenseiten nicht erkennt, dann kommt es zu Problemen. Anstatt also ihre Schwächen zu leugnen, müssen Führungskräfte sie akzeptieren und verstehen. Wer das nicht tut – wer so tut, als sei er oder sie die perfekte Führungskraft, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Entgleisungen kommt, erheblich.

Deswegen greifen wir bei eurosysteam bei in unserer Arbeit mit Führungsverantwortlichen gerne auf das HOGAN Assessment zurück, um zu ermitteln, welche Derailer am stärksten ausgeprägt sind und daher unter Stress am schnellsten anspringen. Genauso wichtig ist jedoch auch herauszuarbeiten, welche Trigger unser Stresslevel befeuern und uns „den Knopf drückt“ – den Anlasser für unsere Derailer startet. Sind es

  • bestimmte Menschen oder Verhaltensweisen
  • Situationen oder Herausforderungen
  • zu viel (oder zu wenig) Arbeit oder Aufmerksamkeit
  • Unsicherheit und fehlende Orientierung
  • Konflikte oder Wettbewerb

Vor allem, wenn wir ein Führungssystem auf eine Transformation vorbereiten sollen, sind die Erkenntnisse, die der HOGAN jedem Einzelnen, aber auch einer Führungsmannschaft als Gruppe liefert, von unschätzbarem Wert.

Wer sich näher mit den Derailern und ihren Auswirkungen beschäftigen möchte, dem empfehle ich das Buch „Why CEOs fail“ von David L. Dotlich und Peter C. Cairo. Und wer wissen möchte, wie wir in unseren Programmen Inventare wie den HOGAN zielgerichtet einsetzen oder in Coaching-Prozesse einbinden, der kann mich gerne dazu kontaktieren.

Steffen