Zieht nicht die falschen Lehren aus Misserfolgen

Die Fähigkeit und Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen, ist für den künftigen Erfolg von größter Bedeutung. Konzentriert man sich jedoch zu sehr darauf, vergangene Misserfolge zu verstehen, kann dies zu einer unerwarteten Verstärkung von Fehlern führen und die Illusion des Lernens erzeugen, anstatt echte Verbesserungen zu ermöglichen. Was ist also nötig, um aus einer „Post-Mortem-Analyse“ genaue, umsetzbare Erkenntnisse zu gewinnen?

In unserer Arbeit mit Organisationen und Führungssystemen treffen wir oft auf folgende drei „Fallen“, in die Führungskräfte bei der Analyse von Misserfolgen tappen.

 

Falle 1: Wir investieren in Strategien, die nicht helfen 

Wenn etwas schief geht, ist es nur natürlich sich auf die Analyse des Fehlers zu konzentrieren und zu versuchen, die Ursachen zu verstehen und zu beseitigen.

Wenn wir jedoch nur nach Mustern bei Misserfolgen suchen, treffen wir auf Merkmale, die ggf. nicht nur bei Misserfolgen, sondern auch bei Erfolgen auftreten, was dazu führt, dass wir Abhilfestrategien einführen, die nicht wirklich helfen oder gar unsere Erfolge behindern.

Folgendes Beispiel: Ihr seid Vertriebsleiter:in und wollt die Leistung eures Teams verbessern. Die meisten der Vertriebsmitarbeitenden erreichen ihre Quoten, aber 25% eben nicht. Um herauszufinden, warum diese 25% des Teams Probleme haben, untersuchen Sie deren Arbeitsabläufe und stellen fest, dass die meisten dieser Mitarbeitenden das integrierte Notizentool in Ihrem Kontaktmanagementsystem nicht verwenden. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Nichtverwendung dieses Tools eine der Hauptursachen für das Leistungsproblem ist und investieren daher in Strategien wie technische Schulungen (oder gar Kontrollprozesse), um die Mitarbeitenden zu befähigen und zu ermutigen (oder bei Nichtnutzung zu sanktionieren), das System angemessen zu nutzen.

Klingt vernünftig – was aber, wenn sich herausstellt, dass die Mehrheit der 75 % der Mitarbeitenden, die ihre Quoten erfolgreich erfüllt haben, das Notizentool ebenfalls nicht nutzen? Ohne eine Analyse der Erfolge und der Misserfolge würden wir vielleicht nicht erkennen, dass dies eine Eigenart ist, die beide Teile des Teams gemeinsam haben – und wenn das der Fall ist, dann würden die kostspieligen Maßnahmen das Problem wahrscheinlich nicht lösen.

 

Falle 2: Wir übersehen Strategien, die helfen würden 

Die ausschließliche Konzentration auf die Analyse negativer Ergebnisse kann auch dazu führen, dass wir Strategien übersehen, die tatsächlich zu einer Verbesserung der künftigen Leistung beitragen würden.

Dies kann auf zwei Arten geschehen: In einigen Fällen kann es Merkmale geben, die bei Erfolgen üblich sind und bei Misserfolgen fehlen, während in anderen Fällen Merkmale, die nur bei einigen Misserfolgen vorhanden sind, bei den meisten Erfolgen fehlen können. In beiden Fällen würde eine ausschließliche Analyse der Gemeinsamkeiten zwischen Misserfolgen uns daran hindern, wichtige Diskrepanzen zwischen Misserfolgen und Erfolgen zu erkennen, was dazu führen würde, dass wir Verbesserungen übersehen, die die Erfolgschancen tatsächlich erhöhen könnten.

Mal konkret an unserem vorherigen Beispiel des Vertriebsteams: eine Analyse der erfolgreichen Verkäufer:innen würde vielleicht ergeben, dass sie alle eine Woche im Voraus mit der Vorbereitung auf wichtige Verkaufsgespräche begonnen haben, während die erfolgloseren Kollegen:innen dies bis zur letzten Minute aufgeschoben haben. Eine frühzeitige Vorbereitung ist vielleicht nicht Teil des Standard-Verkaufsprozesses, und so würde eine Analyse der weniger erfolgreichen Verkäufer:innen allein wahrscheinlich ihre Vorbereitungsroutinen nicht als wichtiges Problem identifizieren. Ein Vergleich zwischen den erfolgreichen und den weniger erfolgreichen Verkäufer:innen würde jedoch darauf hindeuten, dass Investitionen in Zeitmanagement-Tools oder Planungsbesprechungen von Bedeutung sein könnten.

Eine vergleichende Analyse der Arbeitsweise in den beiden unterschiedlichen Teamteilen würde ggf. zeigen, dass ein dynamischer Informationsaustausch während der Besprechungen tendenziell mit einer höheren Erfolgsquote verbunden ist, so dass Strategien, die eine aktive Teilnahme fördern, zumindest einigen helfen könnten, ihre Leistung zu verbessern.

 

Falle 3: Wir bemerken nicht, wenn scheinbar gute Ergebnisse durch schlechte Prozesse hervorgerufen werden 

Die wohl gefährlichste Falle, in die wir tappen können, wenn wir vor allem aus Misserfolgen lernen, besteht darin, dass wir nicht bemerken, wie unsere derzeitigen, scheinbar effektiven Prozesse das Risiko künftiger Misserfolge erhöhen können. Der Grund dafür ist, dass gute Ergebnisse nicht unbedingt aus guten Prozessen resultieren: Sie können auf übermäßigen Risiken oder unethischen Praktiken beruhen, die kurzfristige Gewinne zu langfristigen Kosten bringen. Man braucht sich nur die bekannten Compliance-Fälle der Vergangenheit ansehen, die aus scheinbaren Erfolgen erwachsend sind (z.B. Daimler, Enron…), um den Schaden zu erkennen, den versteckte problematische Prozesse anrichten können.

Wenn wir uns nur darauf konzentrieren, Misserfolge zu reduzieren, ohne zu verstehen, was wirklich hinter unseren Erfolgen steckt, werden wir wahrscheinlich irgendwann feststellen, dass zumindest einige unserer Erfolge in Wirklichkeit getarnte Katastrophen waren.

Kommen wir noch einmal auf unser Verkaufsteam zurück: es könnte zum Beispiel sein, dass die scheinbar erfolgreichsten Verkäufer:innen in Wirklichkeit ihre Zahlen aufblähen oder ihre Kollegen:innen sabotieren. Eine Analyse der weniger erfolgreichen Mitarbeiter:innen allein würde diese Probleme nicht aufdecken, und es könnte lange dauern, bis die Folgen dieser problematischen Praktiken sich so negativ auf das Unternehmen auswirken, dass sie überhaupt bemerkt werden. Für die Unternehmensleitung wäre es daher von Vorteil, nicht nur zu untersuchen, warum sich einige erfolglos abmühen, sondern auch, warum andere so erfolgreich sind – und Maßnahmen zu ergreifen, um die schlechten Prozesse, die beiden Ergebnissen zugrunde liegen, zu beseitigen.

Wirksame Entscheidungsträger lernen sowohl aus Misserfolgen als auch aus Erfolgen 

Natürlich besteht die Lösung nicht darin, Misserfolge zu ignorieren. Der Versuch, allein aus Erfolgen zu lernen, birgt ähnliche Fallstricke. Um zu vermeiden, dass in Strategien investiert wird, die keinen wirklichen Unterschied machen, und um die Merkmale und Prozesse zu ermitteln, die gute Ergebnisse von schlechten unterscheiden, sollten wir die Faktoren analysieren, die beide beeinflussen.

Dies beginnt damit, dass man explizit definiert, was Misserfolg und Erfolg in einem bestimmten Kontext bedeuten, und zwar sowohl im Hinblick auf die sichtbaren Ergebnisse als auch auf die manchmal verborgenen Prozesse, die diese Ergebnisse beeinflussen.

Auf der Grundlage dieser Arbeitsdefinitionen können wir dann kleine, aber repräsentative Stichproben von Misserfolgen und Erfolgen ermitteln und nach Unterschieden zwischen beiden suchen – und nicht nur nach Mustern innerhalb der einen oder anderen Gruppe.

Schließlich kann diese Analyse in regelmäßigen Abständen wiederholt werden, damit die Entscheidungsträger verstehen, wie sich diese Unterschiede im Laufe der Zeit entwickeln, und ihre Strategien entsprechend anpassen können.

Abgesehen von der größeren Zuverlässigkeit hat dieser Ansatz mehrere zusätzliche Vorteile: Vom Investitionsstandpunkt aus gesehen ist es effizienter Strategien zu testen, die in erster Linie auf die Unterschiede zwischen Erfolgen und Misserfolgen abzielen, als eine große Anzahl von Strategien zu testen, die auf verschiedene gemeinsame Merkmale von Misserfolgen abzielen.

Darüber hinaus kann das Wissen um die Gemeinsamkeiten zwischen Erfolg und Misserfolg Aufschluss darüber geben, inwieweit eine bestimmte Maßnahme wirksam sein wird: Je mehr Merkmale sie gemeinsam haben, desto unwahrscheinlicher ist es, dass eine einfache Strategie die gewünschten Ergebnisse erzielt. Wenn alle Beteiligten wissen, dass die Faktoren, die zu Erfolgen und Misserfolgen führen, regelmäßig neu analysiert werden, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass die Beteiligten aus kurzfristigem Gewinnstreben riskante oder unethische Entscheidungen treffen, was letztlich die Gefahr künftiger Katastrophen verringert.

Erfahrungen aus der Vergangenheit können einen wertvollen Einblick in zukünftige Ergebnisse bieten – aber nur, wenn sie effektiv genutzt werden. Letztlich ist der beste Lehrmeister weder das Scheitern noch der Erfolg für sich allein: Weisheit entsteht, wenn man beides zusammen bedenkt.

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