Komplexität begegnet man mit Talenten und Selbstorganisation

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Die letzten beiden Jahre mit all ihren Begleiterscheinungen haben hoffentlich auch den letzten Anhängern von Planwirtschaft in deutschen Unternehmen gezeigt, dass Pläne in dynamischen Situationen nur solange halten, bis sie auf die (sich ständig verändernde) Realität und die dann gerade aktuellen Probleme treffen.

Probleme, die in solchen Kontexten entstehen, lassen sich nun einmal nicht durch die Anhäufung und Dokumentation von Wissen z.B. in Form von Prozessen, Regeln, Checklisten eingebunden in Zielvereinbarungen und Pläne lösen. In einer Welt voller Wechselwirkungen und Unberechenbarkeit bringt Wissen keinen Vorteil, es bringt wenig bis nichts, die internen Abläufe zu verbessern. Beim Bearbeiten von Unsicherheit müssen wir uns von Ideen und Tools der Vorhersagbarkeit (von illusionären Scheinsicherheiten) verabschieden und vielmehr versuchen auf allen Ebenen einer Organisation eine Art „kollektive Achtsamkeit“ zu erzeugen.

Was es dafür braucht, sind (neue) Ideen. Und die bekommt man nur von Menschen, die den strukturellen Freiraum, die offizielle Freiheit haben (und die Motivation entwickeln) kreativ werden zu können. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Talenten, Mannschaften und Selbstorganisation. Wichtige Erfolgsfaktoren, die sich jedoch nicht herstellen oder gar managen lassen (obwohl das in vielen Organisationen krampfhaft versucht wird).

Talente sind Menschen, die in Gegenwart eines neuen Problems ein gutes Gefühl entwickeln, welcher Weg der aktuell richtige sein könnte und dadurch zu neuen kreativen Lösungen kommen. Talente unterfüttern ihre Ideen mit Intuition und Bauchgefühl. Elemente die wir in unserer sehr rationellen zahlen-getriebenen Unternehmenswelt oft verdrängen.

Talent kann zudem auch nicht gemessen oder abgefragt werden. Talent und Können zeigt sich erst bei der Bewältigung von Problemen. Es wird nur an der Lösung eines passenden Problems sichtbar und daher sind z.B. Skill-Profile weitestgehend nutzlos, da sie nur das Wissen eines Menschen abbilden und auch logischer Weise nur nach bereits bekannten Kompetenzen und Problemlösungen gefragt wird.

Höchstleistung und Dynamik-Robustheit erzeugen Unternehmen also nicht durch das, was die Mitarbeiter*Innen im Durchschnitt können, sondern durch das, was Talente als Ausnahmeleistung vollbringen können.

Um diese Talente formen sich idealerweise Mannschaften (kaum ein Problem ist von einem Talent alleine zu lösen). In Mannschaften finden sich die Menschen, die einen Beitrag zur Problemlösung leisten können und wollen. Menschen also, die die aktuell benötigten Kompetenzen haben, um Mehrdeutigkeiten zu integrieren und in Entscheidungen zu überführen. Und die zudem an die Idee oder Hypothese (das Gespür) des Talentes glauben und ihm oder ihr deswegen (und nicht wegen einer Position oder einem Titel) folgen wollen. Das nennt man sozial-legitimierte Führung und die setzt freiwillige Gefolgschaft voraus, die jederzeit ohne Angst vor Konsequenzen auch wieder beendet werden kann.

Und auch dieses Gedankenkonstrukt widerspricht dem Alltag in vielen Organisationen: Führung hängt doch meist an formalen Positionen (Hierarchie) und die Effizienz-getriebene funktionale Trennung von Bereichen hat doch eben dazu geführt, dass unterschiedliche Kompetenzen in Silos stecken, die untereinander Kooperations-unwillig oder -unfähig sind.

Also werden Projekte gestartet, die mit den gleichen Hierarchie-Elementen und Entscheidungsgremien durchsetzt werden und den gleichen Managementpraktiken zu Diensten sein müssen, wie der Rest der Organisation. Kein Wunder, dass das nur noch diejenigen „Talente“ begeistert, die im offiziellen Talent-Management-Pool auf „Visibility“ und eine Bühne warten, um genau das Theater aufzuführen, das die Organisation von ihnen erwartet und honoriert.

Echte Talente und Mannschaften brauchen Marktnähe und Freiraum, um ein Gespür für die Probleme am Markt entwickeln und Lösungen finden sowie vorantreiben zu können. Sie brauchen Selbstorganisation d.h. einen Raum mit weniger Strukturen, Praktiken und anderen internen Referenzen, um eben den Marktbedarf besser – ohne interne Ablenkung – wahrnehmen (erspüren) zu können.

Eine weitere Denkhürde für das unflexible und oft Methoden-fokussierte Vorgehen in Organisationen. Selbstorganisation kann man nämlich nicht herstellen – dafür gibt es keine Schablonen-hafte IKEA-Aufbauanleitung. Und sie lässt sich schon gar nicht formalisieren (Holacracy lässt grüßen). Das Einzige was man aktiv machen kann, ist sie zu (zer-)stören, indem (hierarchische) Führung der vermeintlichen Pflicht nachkommt sich gestalterisch in Selbstorganisation einzumischen (gemäß dem Credo „ohne mich funktioniert das nicht“). Deswegen weichen so oft Menschen in Organisationen auf die Hinterbühne aus, um trotz der Politik und Formalitäten auf der Vorderbühne noch wertschöpfend arbeiten zu können.

Selbstorganisation braucht dennoch formale Macht (hierarchische Führung). Sie spielt eine entscheidende Rolle, denn sie muss den Raum schaffen damit sich Selbstorganisation entwickeln kann. Diese quasi legitimieren und aus dem Halbschatten der Hinterbühne auf die Vorderbühne holen, damit alle anderen sehen können, was dort passiert. Und dann sich selbst („postheroisch“) raushalten und diesen neuen Raum und die Menschen darin mit ihren eigenen Routinen schützen, den Raum als solchen stabil halten.

Unsere Erfahrungen in Veränderungsprojekten zu den Themen Selbstorganisation, Empowerment und dem dafür nötigen kulturellen Umdenken – mit dem Ziel mehr Dynamik-Robustheit und Flexibilität in den betreffenden Organisationen zu erreichen – haben wir in unsere Fortbildung „Systemische Organisationsentwicklung / Change Managment“ einfließen lassen, die wir in 2021 überarbeitet haben und 2022 mit einem neuen Durchgang (dem mittlerweile 25ten) starten werden.

Die Teilnehmer*innen erlernen systemische Methoden rund um die Planung, Durchführung und Evaluation von Veränderungs- und Organisationsentwicklungsprozessen. Über die Inhalte hinaus sind in allen Modulen die individuelle Entwicklung und Arbeit an der eigenen Wirksamkeit zentrale Bestandteile, die wir mit Übungen, Aufgaben, Feedback und Coaching begleiten. Ebenso bieten wir Raum für Austausch und Coaching in Peer Groups.

Wer sich für eine Fortbildung interessiert, hat oft viele Fragen, die wir Ihnen gerne beantworten. Vielleicht sind Sie auch neugierig, wer sich denn noch dafür interessiert. Deswegen bieten wir eine Infoveranstaltung an, die wir online durchführen. Die Teilnahme daran ist absolut kostenlos und unverbindlich. Sie lernen unsere Ausbilder*innen kennen und wenn danach immer noch Fragen offen geblieben sind, wissen Sie genau, wen Sie anrufen können.

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