Zu verstehen, warum man im Raum ist, ist wichtiger, als der Klügste im Raum zu sein (Purpose Teil 3)

Als ich aufwuchs, dachte ich, erfolgreiche Führungspersönlichkeiten müssten alle Antworten wissen oder selbst herausfinden. Klug zu sein – und dafür zu sorgen, dass alle anderen es auch wissen – schien ihre herausragendste Eigenschaft zu sein. Die besten Schulen sollten zu den besten Jobs führen, aus denen die besten Führungspersönlichkeiten hervorgingen. Macht, Ruhm, Ehre und Geld waren das Maß für beruflichen Erfolg. Zu Beginn meiner Laufbahn wurden prominente Wirtschaftsführer wie Jack Welch von GE für ihren Intellekt, ihren strategischen Sinn und ihren energischen Führungsstil verehrt. Sie galten als unfehlbare Genies und inspirierten eine quasi kultische Anhängerschaft.

 

Dieses traditionelle Modell des Führungshelden, der den Tag rettet, alles weiß, der Klügste im Raum ist und allzu oft von Macht, Ruhm, Ehre oder Geld angetrieben wird, ist in der heutigen Zeit nicht mehr zeitgemäß. Dies gilt aus mehreren Gründen:

  • Das sich schnell verändernde, komplexe und unvorhersehbare Umfeld von heute erfordert eine andere Art der Führung. Niemand kann behaupten, alle Antworten auf die komplexen Krisen zu haben, mit denen wir konfrontiert sind, und die anpassungsfähigsten Organisationen sind diejenigen, in denen Entscheidungen dezentralisiert werden.
  • Die Idee, dass der Zweck eines Unternehmens weit mehr ist als nur Geld zu verdienen, hat sich durchgesetzt, und das Modell des knallharten, gewinnoptimierenden Führungshelden hat an Attraktivität verloren.
  • Eine wachsende Zahl von Arbeitnehmern schätzt heute Authentizität und Verbundenheit mehr als eine Fassade von Stärke und Unfehlbarkeit.
  • Die Art der Arbeit hat sich von einer eher mechanischen, repetitiven Tätigkeit hin zu Aufgaben verändert, die Einfallsreichtum und Kreativität erfordern.

 

Es überrascht nicht, dass die Menschen heute eine andere Art von Führung erwarten. Zwar muss jedes Unternehmen seine eigene Führungsperspektive definieren, aber es gibt aus meiner Sicht fünf Attribute (fünf “Be’s”), die Menschen charakterisieren, die in der Lage sind, die Art von menschlicher Magie zu entfesseln, die man bei einigen der leistungsstärksten Unternehmen beobachten kann.

 

Seid Euch über Euren Zweck im Klaren.

Das heißt, Euren Zweck, den Zweck der Menschen in Eurem Umfeld und wie dieser mit dem Zweck Eures Unternehmens zusammenhängt.

Die schwindelerregende Zahl von Mitarbeitern, die in den letzten Monaten ihren Arbeitsplatz verlassen oder ernsthaft darüber nachdenken, hat die Erkenntnis aus der Zeit vor Covid, dass der Zweck, sowohl der individuelle als auch der kollektive, das Herzstück des Geschäfts ist, erneut ins Licht gerückt. Damit der Unternehmenszweck erfolgreich sein kann, müssen sich Führungspersönlichkeiten zunächst darüber im Klaren sein, was sie selbst und die Menschen in ihrem Umfeld antreibt.

 

Sei Euch über Eure Rolle im Klaren.

Die Hauptaufgabe einer Führungspersönlichkeit besteht darin, Energie und Dynamik zu erzeugen – vor allem, wenn die Umstände schlecht sind. Sie muss anderen helfen, Möglichkeiten und Potenziale zu erkennen, und so Energie, Inspiration und Hoffnung schaffen.

Man kann sich die Umstände nicht aussuchen, aber man kann seine Denkweise kontrollieren. Eure Einstellung entscheidet darüber, ob Ihr Hoffnung, Inspiration und Energie um Euch herum erzeugt – oder ob Ihr alle niederdrückt.

Schafft ein Umfeld, in dem sich andere im Sinne des Unternehmenszwecks entfalten können. So hat beispielsweise Netflix, ein Unternehmen, dessen Ziel es ist, “die Welt zu unterhalten” eine Kultur der “Freiheit mit Verantwortung” geschaffen, die Menschen über Prozesse und Innovation über Effizienz stellt.

 

Seid Euch im Klaren darüber, wem Ihr dient (Hinweis: das bist Du nicht selbst).

Ein grundlegendes Element zielgerichteter Führung ist es, sich darüber im Klaren zu sein, wem man in seiner Position dient. Als Führungspersönlichkeit muss man den Menschen dienen, die an vorderster Front stehen und das Geschäft vorantreiben. Man dient den Kollegen, dem Vorstand, den Menschen im eigenen Umfeld, indem man zuerst versteht, was sie brauchen, um das Beste zu geben, damit man sie bestmöglich unterstützen kann.

Es erfordert Wachsamkeit und eine gesunde Portion Selbsterkenntnis, um nicht in die Falle von Macht, Ruhm, Ehre und Geld zu tappen. Bevor man spricht oder handelt, sollte man sich über die eigene Motivation im Klaren sein und darüber, wem man damit dienen will. Die besten Führungspersönlichkeiten klettern nicht auf dem Rücken anderer an die Spitze, sie werden an die Spitze getragen. Und das geschieht, indem man anderen dient.

 

Lasst Euch von Werten leiten.

Im Großen und Ganzen sind wir uns alle einig, was richtig ist: Ehrlichkeit, Respekt, Verantwortung, Fairness und Mitgefühl. Auf dem Papier hat jedes Unternehmen großartige Werte. Aber Werte sind nicht gut, wenn sie nur auf dem Papier stehen. Sich von Werten leiten zu lassen bedeutet, das Richtige zu tun, nicht nur zu wissen oder zu sagen, was richtig ist. Die Aufgabe einer Führungspersönlichkeit besteht darin, diese Werte zu leben, sie ausdrücklich zu fördern und sicherzustellen, dass sie Teil des Unternehmensgefüges sind.

Natürlich ist es nicht immer einfach, das Richtige zu tun, vor allem in Krisenzeiten, wenn überwältigender Stress und Druck unseren Sinn für Werte vernebeln können. Wenn Ihr Euch mit Menschen umgebt, denen Ihr vertraut und deren Werte mit den Euren und denen des Unternehmens übereinstimmen, müsst Ihr nicht allein herausfinden, was in solchen Situationen richtig ist. Ihr werdet gemeinsam entscheiden, was richtig ist, und dann so gut wie möglich danach handeln.

Werteorientierung bedeutet auch, dass Ihr wisst, wann Ihr gehen müsst, wenn Ihr nicht mit Eurem Umfeld übereinstimmt, sei es mit Euren Kollegen, Eurem Chef, Eurem Vorstand oder mit den Werten und Zielen Eures Unternehmens. Seid klug genug, um den Unterschied zwischen dem, was Ihr ändern könnt, und dem, was Ihr nicht ändern könnt, zu erkennen.

 

Seid authentisch.

Ich habe selbst viele Jahre gebraucht, um dieses fünfte (und für mich bei weitem schwierigste) “Sei” zu akzeptieren: Sei du selbst, dein wahres Selbst, dein ganzes Selbst, die beste Version deiner selbst. Sei verletzlich. Sei authentisch. Verletzlich und authentisch zu sein bedeutet nicht, dass man alles auf seine Kollegen abwälzt. Für Führungspersönlichkeiten bedeutet es, Emotionen und Kämpfe zu teilen, wenn dies angemessen und hilfreich für andere ist.

Da viele von uns in den letzten zwei Jahren gezwungen waren, von zu Hause aus per Video zu arbeiten, haben wir mehr von uns preisgegeben – Kinder, Hunde, Katzen, Probleme mit dem Internet usw. Das war nicht immer bequem oder einfach. Aber wir durften uns alle in einem anderen Licht sehen, nämlich als vollwertige menschliche Wesen.

Die Menschen erwarten von Führungspersönlichkeiten, dass auch sie menschlich sind. Das beginnt damit, dass wir uns verletzlich zeigen, auch indem wir zugeben, was wir nicht können und wissen. Brené Brown weist darauf hin, dass Verletzlichkeit das Herzstück sozialer Bindungen ist. Und soziale Verbundenheit wiederum ist das Herzstück von Unternehmen.

 

Die Art und Weise, wie wir führen, hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Menschen um uns herum und darauf, wie wir Geschäfte machen. Wir können Unternehmen und ganz allgemein den Kapitalismus nicht umgestalten, wenn wir nicht darüber nachdenken, wer wir als Führungspersönlichkeiten sind, und insbesondere über die folgenden Fragen:

  • Habt Ihr Euch entschieden, welche Art von Führungspersönlichkeit Ihr sein wollt?
  • Wie würdet Ihr Eure Aufgabe beschreiben?
  • Wie würdet Ihr Eure Rolle beschreiben?
  • Was tut Ihr, um ein Umfeld zu schaffen, in dem andere gedeihen und aufblühen können?
  • Wem dient Ihr?
  • Welche Werte definiert Ihr für Euch?
  • Gebt Ihr bereits Euer Bestes, um authentisch, ansprechbar und verletzlich zu sein?

-Steffen